Der Tanz der Toleranz
Islam aus Bregenz
Wenn Islam tanzt, zieht er alle Blicke auf sich. Denn mit seinen Bewegungen bricht er Stereotype von Männlichkeit. Islams Tanz zeigt eindrücklich, wie schwierig es für viele ist, selbst friedliche Lebensweisen zu tolerieren.
Islam und ich treffen uns in Bregenz. Wir laufen über die Kaiserstraße hoch zum Leutbühel, dann weiter über die Kirchstraße zum BAHI. Islam trägt ein gelbes Crop-Shirt, zwei glitzernde Ohrstecker und seine schwarze Hose betont seine langen Beine. Jeder Schritt von Islam ist on point. Mir kommt vor, dass die Kaiserstraße plötzlich ein Catwalk ist, auf dem Islam glänzt, und ich mit meinen 1.70m und kurzen Beinen ziemlich ablose. Ich spüre die Blicke, die sich auf uns richten, aus dem Auto ruft uns jemand etwas Beleidigendes hinterher, Islam läuft einfach weiter, und ich hechle hinterher.
Mir wird in diesen ersten Minuten unseres Treffens klar: Obwohl Islam und ich beide schwul sind, machen wir andere Erfahrungen im Alltag. Während ich auf den ersten und vielleicht sogar zweiten Blick „passe“, also als „normaler Hetero-Mann“ gelesen werde und somit in den meisten Alltagssituationen keine Aufmerksamkeit errege, so wird Islam bereits beim ersten Eindruck als jemand gesehen, der mit den Vorstellungen von Männlichkeit bricht. Darauf reagieren die Menschen ganz unterschiedlich.
Who says you’re not perfect?
Ich folge Islam seit einiger Zeit auf Instagram und sehe einen extravaganten, jungen Tänzer, der wirklich alles gibt. Als ich mich mit Islam auf eine Tasse Tee im BAHI treffe, merke ich, dass das nur eine von vielen Facetten ist. Denn anders, als es seine expressiven Tanzvideos auf Instagram vermuten lassen, wirkt Islam im Gespräch eher ruhig und ernst. Sorgfältig wählt er seine Worte und jeder seiner Sätze klingt nach einem Plädoyer für mehr Menschlichkeit.
„Es geht mir immer um die Message“, meint er gleich zu Beginn. „Ich wünsche mir, dass Menschen meine Message hören, und dass sie dadurch ermutigt werden.“ Von Botschaften ermutigt werden, das kennt Islam selbst. In seinen schwierigsten Zeiten hörte er viel Musik. Sie gab ihm in diesen Zeiten Kraft. Ein Song von Selena Gomez hat ihn dabei am meisten aufgebaut.
„You’ve got every right
To a beautiful life
C’mon, who says
Who says you’re not perfect
Who says you’re not worth it
Who says you’re the only one that’s hurting
Trust me
That’s the price of beauty
Who says you’re not pretty
Who says you’re not beautiful
Who says“
Wer denn eigentlich sage, dass man als Mann nicht auch feminin, ja vielleicht auch etwas crazy sein könne, fragt sich Islam. Er hat den Eindruck, dass das Brechen von Gender-Stereotype für viele eine Bedrohung darstelle, der sie mit Gewalt entgegen treten. „Aber wir leben in Österreich im 21. Jahrhundert. Hier gilt die Meinungsfreiheit, hier gelten Menschenrechte. Und trotzdem können wir uns nicht frei entfalten, selbst wenn wir friedlich sind.“, ist Islam überzeugt.
Muss das sein?
Islam, der mit seiner Familie 2004 von der russischen Republik Dagestan über Traiskirchen nach Vorarlberg kam, erzählt von seinen Jugendjahren, in denen er merkte, dass er sich eher zu Jungs als zu Mädchen hingezogen fühlte. Aber das war nie das einzige. Islam fiel immer mit etwas aus dem Raster, ganz egal, ob nun wegen seiner Kleidung, seiner Sprache oder seiner Religion. Und das hieß für ihn auch immer, ausgegrenzt, diskriminiert und angegriffen zu werden. Islam hat wegen dieser starren Bildern von Normalität, zu denen er nie gepasst hatte, auch schon körperliche Gewalt erleben müssen. Und es gab sogar eine Zeit, in der ihm Menschen mit Mord drohten. Die Menschen, die ihm drohen, sagen ihm, er wäre kein Mensch und deshalb nicht wert zu leben. „Ich habe mich erst nicht getraut, damit zur Polizei zu gehen. Mein bester Freund hat mich überredet, und ich möchte allen sagen, die auch solche Drohungen erhalten passiert: Tut es. Es lohnt sich Hilfe zu holen.“
Während Islam und ich in Bregenz abhängen, muss ich zugeben, dass ich mich wegen der Blicke, die sich auf uns richten, kurz frage: Muss das sein? Muss man so auffällig, ungewöhnlich und extravagant auftreten? Doch je besser ich Islam kennenlerne, desto mehr bin ich überzeugt, dass ich diese Frage nicht Islam, sondern anderen Menschen stellen muss. Denn es entspricht unserem Recht und unserer humanistischen Haltung, dass sich Islam mit all seinen Talenten frei entfalten kann – gerade dann, wenn er damit Stereotype überwindet. „Muss das sein?“ möchte ich also all jene Menschen fragen, die Islam drohen, beleidigen, Gewalt ausüben. Denn diese Formen von Gewalt können wir unter keinen Umständen vertreten oder verteidigen.
Vom Glauben an die Menschlichkeit
Am Ende unseres Gespräch entdecke ich auf Islams Crop-Shirt Bubbles von den Powerpuff-Girls. Mir kommt plötzlich die Anfangssequenz der Kinderserie in den Sinn, ich kann sie in meinem Kopf aufsagen wie ein Werbejingle, der sich für immer eingeprägt hat:
„Süß wie Zucker, scharf wie Pfeffer und bunt wie lauter schöne Sachen.“
Ich denke mir, dass das auch gut zu Islam passt. Mal ausgeglichen, mal exzentrisch, aber vor allem: Stark, voller Mut und einem held*innenhaften Glauben an die Menschlichkeit.
Islam erzählt mir von seinen Plänen für die Zukunft. In Wien bewerbe er sich derzeit für einen Platz an der Schauspielschule. Und so sehr ich mich für Islams Ausblick freue, so sehr bedaure ich es auch: Denn wenn Islam geht, fehlt in Bregenz der temporäre Catwalk. Und damit ein Mensch, der uns zeigt, was Freiheit bedeutet.
Das Gespräch führte Tom Pfanner.
Danke an Mirjam Steinbock für die Unterstützung bei diesem Beitrag.
Islam kann man auch auf Instagram folgen.
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