Von Büchern, Vorbildern und Heimat
Martina aus Bildstein
Martina aus Bildstein denkt an ihre eigene Jugend als Lesbe zurück. Ohne Internet und ohne lesbische Vorbilder gab es für sie nur eine Möglichkeit um sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen: Eine wagemutige Bestellung in der Buchhandlung.
Es ist das Jahr 1999. Martina ist 21 Jahre alt und steht mit einem mulmigen Gefühl im Bauch vor der Buchhandlung Bücherwurm in Lustenau. Kurz überlegt sie noch, umzudrehen, es einfach sein zu lassen. Aber sie ist zu neugierig und hat ein Ziel: Sie ist auf der Suche nach Antworten, auf all die Fragen und verwirrenden Gefühle, die sie gerade beschäftigen. Denn Martina ist anders.
Sie betritt die Buchhandlung, und wird herzlich begrüßt. Martina geht durch die Regale und sucht. Liest Buchtitel, nimmt sie raus, überfliegt die Klappentexte. Aber sie findet nicht das wonach sie sucht. Mitten in der Buchhandlung liegt jedoch ein Bestellkatalog, so dick wie ein Telefonbuch in einem Format so groß wie eine Tageszeitung. Und Martina sucht nach dem Wort lesbisch. Und wird fündig: Unter tausenden von Titeln fand sie ein Buch mit dem Titel „Die andere Szene. Psychoanalyse und lesbische Sexualität.“ Martina nimmt all ihren Mut zusammen und bestellt das Buch bei der Verkäuferin. Mit zitternder Stimme spricht sie den Titel des Buches aus und bringt das Wort „lesbisch“ kaum über die Lippen.
Das Buch kam ein paar Wochen später an. Sehr hilfreich am Weg zum Coming-Out war die theoretische Auseinandersetzung mit lesbischer Sexualität, basierend auf Freuds Sexualtheorien leider nicht. Trotzdem hatte es sich für Martina gelohnt. Das Buch in der Buchhandlung zu bestellen, war eines der ersten Coming-Outs für Martina. Wie ihr Umfeld reagieren würde, konnte Martina aufgrund dessen, dass kaum öffentlich über Homosexualität gesprochen wurde, nicht einschätzen. Abfällige Witze über Schwule in der Schule waren das einzige was Martina in ihrer Kindheit und Jugendzeit mitbekommen hatte. Das hielt Martina aber nicht davon ab, Anschluss zu suchen. Es musste doch noch andere Frauen geben, die so fühlten wie sie.
Ein paar Monate nach ihrer mutigen Bücherbestellung lernte sie einen schwulen Postler kennenlernen. Auf einer rasanten Fahrt in ihrem grünen Käfer, fragte Martina nach, wo sich denn die anderen Schwulen und Lesben in Vorarlberg treffen. Seine Antwort war ernüchternd. In Hohenems am Alten Rhein würden sich manche schwule Männer treffen. Für Martina als Lesbe keine Option. Und sonst? Nichts.
Anschluss fand Martina erst in Wien. Die Erfahrungen in Vorarlberg waren für Martina trotzdem prägend. Anders als heute, wo man in der Anonymität des Internets an Informationen und Kontakte gelangen kann, musste Martina über ihren Schatten springen und in den richtigen Momenten mutig sein. Sie weiß aber auch, wie es sich anfühlt, keinen Anschluss zu finden. Für sie gab es in Vorarlberg keine Role Models, niemanden, der oder die sichtbar war, und das gab ihr lange das Gefühl, dass das Ländle keine Heimat für sie sein könnte.
Heute engagiert sich Martina im Verein GoWest – und ihre erste Tätigkeit war es, eine queere Bibliothek im Verein aufzubauen. Quasi eine Hommage an die Zeiten, in denen die Bücher für Martina die einzigen lesbischen Kontakte waren.
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