„Wozu soll ich mich bekennen?“
Marc aus Ludesch*
*Marcs Name und sein Wohnort wurden im Sinne des Outingschutzes geändert. Menschen wie Marc leben überall in Vorarlberg. Ludesch wurde per Zufallsprinzip ausgewählt.
Marc* ist 22 und liebt beide Geschlechter. Einen Grund sich zu outen sieht er jedenfalls nicht, denn „Geheimnisse behält man lieber für sich.“
„Erst dachte ich, ich wäre schwul. Mit meinen 14 Jahren wusste ich nicht, was ich damit anfangen soll.“, erzählt Marc über seine Jugend. Mit 16 hatte er sein erstes Mal mit einem Mann und das war so wie viele erste Male: Nicht das beste Mal. Die Erfahrung hat ihm trotz allem gezeigt, dass er sich auch etwas mehr als Freundschaft mit Frauen vorstellen könnte. Heute ist die Sache für ihn so: Mit Frauen kann er sich langfristige Liebesbeziehungen besser vorstellen, mit Männern ist es einfacher, Sex zu haben. „Ich träume vom Haus, einem guten Grill, Pool, Kindern und einer Ehefrau – ganz einfach, weil ich es so von zuhause kenne und das schön ist.“, so stellt sich Marc seine Zukunft vor.
„Pass auf, das könnte schlecht enden“
In dieser Zukunftsvision hätte höchstens ein Mann den Platz der Ehefrau einnehmen können: Marcs erste Liebe, Pascal. „Das war der einzige Mann, den ich wirklich geliebt habe – auch wenn er kein guter Mann war.“ Auf Arbeit haben sich die beiden kennengelernt, es folgten ein paar Monate Beziehung, in der die Rollen klar verteilt waren. Da war einmal die Frage, warum Marc überhaupt arbeiten geht, wenn Pascal doch einen Job habe. Und da waren die Momente, in denen Pascal etwas zu oft kontrollierte, wo Marc sich rumtrieb. Nichtsdestotrotz fühlte sich Marc beschützt, und er muss zugeben, dass ihm das gefiel. Die Beziehung war so ein wichtiger Teil seines Lebens, dass er sich auch seiner besten Freundin und seinem besten Freund anvertraute. Die beste Freundin reagierte mit einem „Ja, und?“, doch der beste Freund warnte: „Pass auf, das könnte schlecht enden.“ Gemeint war nicht nur Marcs Bisexualität, sondern auch die Beziehung mit Pascal. Denn wer Pascal vom Hörensagen kannte, der wusste, dass es sich hier nicht um den Traumschwiegersohn handelte.
Was, wenn man geoutet wird?
Nach 7 Monaten war Schluss, zu unterschiedlich waren die Ansichten zum Leben. Doch nach der Trennung bekam es Marc mit einer existenziellen Angst zu tun. Was wenn Pascal ihn aus Rache vor seiner Familie outete? Mit nur ein paar Worten hätte Pascal Marcs Leben komplett aus den Bahnen lenken können. „Mein Vater hätte mich rausgeschmissen und mein Bruder wäre auf Pascal losgegangen.“, meint Marc. Zum Glück hat Pascal bis heute nichts gesagt. Trotzdem machte die Situation eines klar: Ein Outing wäre mit dem Verlust der eigenen Familie verbunden. Das wäre es Marc nicht wert, denn seine Familie sei ihm wichtig, wichtiger als jeder Mann es je sein könnte.
Außerdem und ganz generell hält Marc es für unnötig, sich zur Sexualität zu bekennen. Selbst die intensive Beziehung mit Pascal fand im Geheimen statt. Und wenn sich die beiden vorstellten, dann waren sie halt Kollegen – alles kein Problem für Marc. „Ich fühle mich nicht benachteiligt und ich finde es ok so, wie es ist. Alle Menschen haben Geheimnisse, und das ist eben meines. Und Geheimnisse behält man lieber für sich.“
In einer aktuellen Erhebung der Europäischen Agentur für Grundrechte geht hervor, dass 45% der LGBTIQ*-Menschen in Österreich nicht offen mit ihrer Sexualität umgehen. Mehr Informationen zu dieser Studie hier.