Trans* ist…unterwegs sein.
Georgie aus Bartholomäberg
Es kostet mich echt Überwindung, mich auf diesem Format zu erzählen. Erstens wollte ich mich nie öffentlich selbst erzählen. Wenn schon, dann lieber über künstlerisches oder politisches Handeln erscheinen, als durch Darstellung meiner Selbst. Ich sehe aber, dass das Projekt „Mission Pride“ Mut machen soll über genau das: sich Selbst zeigen. Das macht seit Jahrhunderten Sinn.
Also Augen zu und durch.
Vor Kurzem bin ich, nach ein paar Jahrzehnten in Wien, wieder nach Vau übersiedelt. So richtig rural, wo die Landstadt, wie Vorarlberg jetzt offenbar auch genannt wird, schon am Taleingang in Lorüns das Urbane abwirft: im Montafon, am Berg oben. Keine Chance, ohne Auto mal kurz auszugehen um am queeren Leben teilzunehmen. Ich hab kein Auto, weil ich das von Wien so gewohnt bin, und Vau ja eh so ein großartiges öffentliches Verkehrsnetz hat. Aber sich als queere Person zu vernetzen, heißt ins Rheintal zu kommen, in den Bodenseeraum, nach Innsbruck… und das ohne Übernachtungsmöglichkeiten? Vielleicht sollte es mal eine Schlafstelle für Queers aus dem Montafon, dem Kleinwalsertal und dem hinteren Bregenzerwald geben :). Einen Camper in den Schrebergärten überhalb des Feldkircher Bahnhofs vielleicht? Und einen auf der Bregenzer Molo! :))
Was gibt es zu fürchten? Eh nichts. Nichts Neues. Das Übliche.
Zum mehr oder weniger wohlmeinenden Dorfgespräch werden, zB. Dass Leute, die vorher dachten: dia luagt jo us wia an Ma, aber doch einen freundlichen Alltagskontakt hielten, ab jetzt Gespräche schnell beenden, misstrauisch werden, nicht mit mir zusammen gesehen werden wollen, und den Kontakt meiden. Weh könnt es tun, weil ich gern mit alten Leuten, und überhaupt mit Landvolk spreche. Dazu ist Vertrauen nötig. Werden sie es mir entziehen, bevor ich pip sagen kann?
Was fangen die Leute hier am Berg an mit Trans*? Als ich hierher zog, wollte ich es nicht herausfinden, hab mich hier erstmal nicht geoutet. Nach dem zig-sten Outing in meinem Leben bin ich müde. Mag mein Fleisch nicht mehr ausstellen und meine Seele schonen. Leichter einzuordnen wäre ich, wenn ich besser als Mann (ohne Sternchen) passen könnte, was nur bedingt möglich ist.
Wie so viele von uns, musste auch ich weggehen aus Vorarlberg, um bei mir anzukommen. Oder deutlicher: um zu überleben. In den 1980er Jahren war Wien eine gute Option, es war seit den 70er Jahren spannend dort, viele Aufbrüche in Richtung offene(re) Gesellschaft waren im Gang – endlich auch in Österreich! Auch in Vorarlberg hat sich damals viel getan, eine starke Öko-, Antiatomkraft-, Friedensbewegung, die ersten feministischen Zusammenschlüsse … für LGBTI-Diskussionen, wie auch für antirassistische Aktivität, gab es aber noch kaum Raum. „Queer“ war, soweit ich das überblicken kann, damals noch kein gängiger Begriff in Europa.
Bald nach meinem lesbischen Coming Out lebte ich, samt meinem kleinem Kind, für drei Jahre in der Rosa Lila Villa (jetzt: Türkis Rosa Lila Villa, das hat sich die Trans*community so ausbedungen, noch bevor die övp diese Farbe gekapert hat). Dort hatte ich das Vergnügen, mit Trans-X in Berührung zu kommen. An dieser Stelle a tribute to Eva Fels und Jo Schedlbauer und ihren Vor- und Mitkämpfenden, die schon ab den späten 90er Jahren soviel ins Rollen gebracht haben für die österreichische Version der Trans*bewegungen. Und an Persson Baumgartinger, der österreichische Trans*geschichte erarbeitet hat. Diese und etliche andere Aktivist_innen* waren für meine Entfaltung wichtig.
Meine Entwicklungen sind immer langsam. Meine Verankerung in (queer)feministischer Praxis und beruflich gegen Gewalt an Frauen tätig, hat eine sorgfältige Selbstbefragung nötig gemacht, um mich selbst als trans* begreifen zu können. Um als Mann* oder vielleicht eher: maskulin markiert/genderqueer leben zu wollen, musste ich lange mit mir arbeiten bis ich den Weg gefunden hatte, wie ich dieses Begehren mit meinen feministischen Überzeugungen vereinbare. Die Erweiterungen meines Horizonts verdanke ich auch denen, die den Weg diskursiv, aktivistisch, mit Einsatz ihres Lebens, freigeschaufelt haben. Das ist keineswegs „einfach so aus mir heraus gebrochen“ – wie das medial zB oft dargestellt wird.
Seit ungefähr zwanzig Jahren bewege ich mich immer weiter in Richtung Männlichkeit(en). Ich will gesellschaftlich fürsorgliche, zärtliche, verantwortliche, reflexive Männlichkeit sehen und erleben. Männlichkeit, wo Gefühle und weiche Seiten nicht einfach nur hinter neoliberalen Teflongesichtern zwar als Performance abfragbar, aber innerlich nicht verankert sind. Männer*, die das auch gut finden oder ohnehin leben, sind mitunter nicht laut, nicht so gut organisiert, oder werden nicht ernst genommen. Das ist sehr schade, aber kann sich ja noch und immer wieder ändern. In den Trans*Inter-Communities gibt es genug solcher Männer*, maskuline Genderqueers und Nonbinaries. Wer weiss, vielleicht wird die emanzipatorisch-kritische Männerbewegung, eines Tages von diesen Kontexten ausgehen? (wishful thinking)
Vorstellungen und Repräsentationen von Maskulinität sind jedenfalls breiter geworden. Das hat auch Raum für mich gemacht. Dadurch ist mir eine Transition möglich geworden, erst mit 57 Jahren, aber doch.
Das Spannungsfeld von innerer Beruhigung des eigenen Systems und nach Außen hin immer der Irritation entlang zu leben, bleibt.
Von meinem Computer aus schaue ich auf die Bergkette gegenüber: Schönheit im Abendlicht. Ich fühle mich sehr privilegiert, an einem landschaftlich so schönen Ort leben zu können. Es verstärkt den beruhigenden Teil des Spannungsverhältnisses. Wie weit es für mich auch den sozialen Raum gibt um hier zu leben, werde ich heraus finden. Zum Glück gibt es die Möglichkeit, die Orte zu wechseln. Nicht alle, die gerne wollten, können das auch tun. Gerade ist wieder so sichtbar, wie Weggehen für viele in einer Neuauflage von Repression mündet, – dennoch: wegzugehen kann immer noch und trotzdem lebensrettend sein. Für mich war es existentiell.
Zurückzukommen ist jetzt wie ein Krimi.
Gerade freue ich mich sehr, dass in Vorarlberg queerer Aktivismus entstanden ist. Da ist so viel mehr Raum zu Atmen, als es in den 70er und 80er Jahren der Fall war!
Allen, die dazu beigetragen haben, möchte ich meine dicke, sahnige, glitzernde, duftende Anerkennung posten!
Links zu Organisationen, Kontexte und Initiativen, die ich gut finde und/oder selber Teil davon war:
https://www.transx.at/index.php
https://www.researchgate.net/profile/Persson-Baumgartinger
http://besetzungsarchiv.org/projekt/rosa-lila-villa/
https://planet10wien.wordpress.com/
https://www.bizeps.or.at/queers-on-wheels-behinderung-ist-queere-kultur/
https://www.facebook.com/search/top?q=dis_ability%20mad%20pride%20vienna
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