Zwischen Toleranz und Häme
Andrè aus Lustenau
Andrè begegnet immer wieder Menschen, die ihn als Transmann akzeptieren. Trotzdem wird er diskriminiert: Egal ob auf Behörden oder bei seiner Arbeitsstelle. Das lässt Andrè aber nicht müde werden. Denn er ist ein Kämpfergeist mit großem Herz.
„Mein Name ist Andrè, bin 49 Jahre alt und ich wohne in Lustenau. Vor rund 15 Jahren kam von Deutschland nach Österreich. Damals wegen eines Jobs. Und damals hieß ich noch Annett. Seit einem Jahr ist es nun Andrè. Ich bin ein transsexueller Mann und schwul.
Mein Outing vor einem Jahr war ein sehr harter Kampf, denn ich musste mich erst selbst finden. Das war der schwerste Kampf. Ich musste erst richtig zusammen brechen, mich selber in Frage stellen, und oft fragte ich mich, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte. Doch ich habe mich befreit und kann jetzt so leben, wie ich bin: als Mann.
Dass etwas an mir anders war und dass ich anders ticke, habe ich schon in frühster Jugend gemerkt. Aber so leben durfte ich nicht. Aus Angst vor der Familie, den Freund*innen und der Gesellschaft. Ich wurde immer erzogen wie ein Mädchen. Was das konkret heißt? Nur ein Beispiel, das jede*r in meiner Situation kennt: Mutti will, dass ich ein Kleidchen zum Sonntag anziehe, ich nicht, darum streike ich. Vati kommt, genehmigt Jeans, T-Shirt und Turnschuhe. Erst dann war mein Tag wieder ok. Lange Haare, die Mädchen gerne trugen, waren bei mir out. Kurz war die Ansage.
Heute denke ich, dass ich eine Maske für all diese Leute getragen habe, um ihrem Bild und Anforderungen zu entsprechen. Und nun konnte und habe ich die Maske fallen lassen. Nun kann ich so sein, wie ich wirklich bin und zu mir stehen, als das, was ich wirklich bin: Ein Mann, der Männer liebt. Daran ist nichts verkehrt. Mein Outing kam für viele sehr überraschend. Und ich habe viel Mut gebraucht mich zu bekennen. Das war einer der härtesten Schritte in meinem Leben.
Doch als ich das getan habe, ging es mir richtig gut. Ich habe mich sehr frei gefühlt. Meine Seele und ich hatten nun einen inneren Frieden gefunden. Ich habe viele sogenannte Freund*innen verloren. Diesen weine ich keine Träne nach. Und ich habe auch echte Freund*innen gefunden. Darüber freue ich mich umso mehr. Meine Familie ist mir sehr wichtig. Dort gab es anfänglich unterschiedliche Meinungen dazu. Viele waren sehr offen eingestellt und haben damit keinerlei Probleme gehabt. Einige brauchten erst eine Zeit, bis man darüber reden konnte.
Besonders hart ist es bis heute auf meiner Arbeitsstelle. Bei meinem Wiedereinstieg in die Firma habe ich mich als Mann geoutet. Mein Chef sagte mir, kein Problem, das wäre meine Privatsache. Aber leider musste ich hinter meinem Rücken erfahren, dass er es in Wahrheit ganz schlimm finde, jetzt einen Transmann in seinem Bereich zu haben. Anfangs hat er mir sogar verboten, dass es die anderen Mitarbeiter*innen erfahren. Ich habe es trotzdem allen selber gesagt und auch gebeten, mich mit meinem männlichen Namen anzusprechen. Ich habe auch gesagt, dass wenn jemand ein Problem damit haben sollte, man mir das direkt sagen kann. Ich respektiere das. Erstaunlicherweise war meine Geschlechtsidentität für meine Kolleg*innen kein Problem. Im Gegenteil. Sie schienen offen und respektvoll eingestellt zu sein.
Mit diesem positiven Rückhalt habe ich bei meinem obersten Chef einen Termin vereinbart um darüber zu sprechen. Er war zwar überrascht, aber grundsätzlich offen eingestellt. Trotzdem gab es Einschränkungen für mich. Mir wurde gesagt, dass ich doch bitte das Behinderten-WC nehmen soll, weil sich meine Kolleg*innen irritiert fühlten, wenn ich jetzt das Männer-WC besuchen würde. Die Wahrheit ist aber – meinen männlichen Kollegen ist das total egal. Was ich aber sehr demütigend finde, ist, dass es sehr lange gebraucht hat, meinen Namen im Unternehmenssystem zu ändern. Mein Geschlecht wurde bis heute nicht angepasst. „Frau Andrè“ steht dann da. Das verletzt mich tagtäglich.
Letztes Jahr musste ich meine Geschlechtsangleichung zurückstellen, da ich mit meiner Krebserkrankung kämpfen musste. Diese habe ich zum Glück gut besiegt, ohne Hilfe. Die Zeit der Erkrankung musste ich alleine durch stehen. Die einzige Hilfe und Unterstützung hatte ich durch meinen Therapeuten. Von meinen Kolleg*innen und Vorgesetzen hat mich in dieser schweren Zeit nie jemand nach meinem Zustand gefragt. Mir wurde bewusst, dass es hinter meinem Rücken auch viel Häme gab. Meine Identität wurde in Frage gestellt, es wurde gefragt, was das eigentlich soll und ob das ganze Thema um die Geschlechtsidentität nicht nur ein Wunschdenken von mir sei. Man hat mir erzählt, dass Kolleg*innen auch gesagt hätten, dass sie mich schwulen Hund nicht besuchen müssten. Nur wenige, echte Freunde haben mich besucht und sich um mich gekümmert.
Derzeit durchlaufe ich das vom Staat vorgeschriebene Prozedere für Transgender-Menschen. Alles, was für die vorgeschriebene Therapie brauche, habe ich mir viel selbst erlesen müssen im Internet. Bei vielen Behörden wird man nicht ernst genommen und meistens bewusst mit dem falschen Namen angesprochen. Das ist hart für mich. Und in manchen Situationen gehe ich dann nach Hause und es kommt auch schon mal vor, dass ich weinen muss, weil es mich so verletzt hat. Dann wünsche ich mir von ganzem Herzen, einen Partner zu haben, der mich in den Arm nimmt und tröstet, mir Mut macht. Oder einen Kumpel, der genauso tickt wie, mit dem ich mal reden kann. Aber im Moment habe ich niemanden. Trost geben mir meine beiden Katzen.
Was mich aber ausmacht: Ich habe Kampfgeist und ein großes Herz. Ich bin überzeugt, dass ich so meinen Weg zur Geschlechtsangleichung gehen kann, auch wenn er hart ist. Es braucht sehr viel Mut und Kraft sich zu outen. Die Haltung der Gesellschaft ist sehr geteilt. Viele sind offen eingestellt. Andere zeigen sich dir tolerant und sprechen hinter deinem Rücken abschätzig über dich. Und dann gibt es einige, die sehr negativ eingestellt sind und dich auf’s Übelste beleidigen. Ich kann da mittlerweile drüber stehen, weiß aber auch, wie weh es tut. Ich möchte mich deshalb bekennen, sei das in meinem Umfeld oder auf Social Media, um anderen Menschen Mut zu machen.“
Vorarlberg hat im Verhältnis zu seiner Größe eine engagierte Trans*-Community, die sich wöchentlich (!) im freiräumle in Hohenemes oder digital trifft. Mehr Infos dazu findest du unter freiraeumle.at.
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