Einen Menschen lieben
Anima aus St. Anton im Montafon*
*Animas Name und Wohnort wurden im Sinne des Outingschutzes geändert. Menschen wie Anima leben überall in Vorarlberg. St. Anton im Montafon wurde nach Zufallsprinzip ausgewählt.
Wenn Anima verliebt ist, vergisst sie bei den Kässpätzle auch mal die Eier. Ob man Männer oder Frauen liebt – ganz egal ist das irgendwie doch nicht. Und trotzdem ist Anima überzeugt: Die Liebe kennt kein Geschlecht.
Vom Kindergarten an bis zum heutigen Tag war ich durchgehend verliebt. Zuerst in Burschen, dann in Männer. Es hat sich immer richtig angefühlt, weil es richtig war. Nie hat mir etwas gefehlt. Nie habe ich mich zu einem Mädchen oder eine Frau hingezogen gefühlt. Dieser Gedanke und dieses Gefühl gab es nicht. Ich habe geheiratet und bin Mutter.
Als ich um die 40 Jahre alt war, ist SIE in mein Leben getreten. Es war für mich wie ein Erdbeben, das alles in meinem Leben erschüttert hat. Ein paar Tage dachte ich über dieses komische Gefühl in meinem Inneren nach. Bis ich mir sagte: “Du kennst dieses Gefühl ganz genau, du weißt was sich so anfühlt, so warm, so tief, so einnehmend …. Du bist verliebt!“ SIE hatte mein Herz berührt.
Körper, Seele und Geist waren durchdrungen von dieser Liebe, von dieser wunderbaren Frau warm eingehüllt. Trotzdem war ich verwirrt. Als ich ihr meine Gefühle gestand, musste ich zuerst ein Gläschen Cognac trinken.
In Folge habe ich Kässpätzle ohne Eier gemacht – das Kochen habe ich sonst echt gut drauf. Beim Arbeiten habe ich mich irgendwie durch die letzten Tage bis zu den Ferien gerettet, geschlafen habe ich schlecht bis kaum, die Gedanken sind durch meinen Kopf gerauscht und ließen sich nicht abstellen. Ich habe geschrieben, um meine Gedanken in Worte fassen zu müssen. So, wie ich das auch jetzt gerade mache. Ja, man lernt vieles im Leben, aber nicht wie man sich „richtig“ trennt.
Wochenlang hatte ich das Gefühl, dass ich mit niemandem außer IHR reden konnte. Irgendwann war ich dann nervlich so fertig, dass ich dachte, jetzt muss ich in die „Klapsmühle“. Bis ich mich dann einer Freundin anvertraute, die mir empfohlen hat, professionellen Rat in Anspruch zu nehmen. Hilfe habe ich mir dann beim IfS geholt – das war gut. SIE hatte sich Jahre vorher schon geoutet. Nach ein paar Monaten habe ich mich getraut, es erklärt – überall! Es war eine unglaublich anstrengende Zeit – für alle Beteiligten. Für diese Schwerstarbeit hatte ich einen Orden verdient und den später auch bekommen. Viele Menschen waren sehr verletzt und/oder wütend – auch wir zwei sind nicht schadlos durch diese Zeit gekommen.
Nach dem Outing und der Trennung von meinem Mann, hat sich mein Freundeskreis verändert, Gerüchte wurden gestreut, böse Worte sind gefallen. Damals war ich berühmt im ganzen Land. Menschen, die ich nicht einmal gekannt hatte, haben meine Geschichte weitererzählt – nicht immer hat der Inhalt den Tatsachen entsprochen. Einige Freunde sind geblieben.
Die Liebe, die mir diese Frau geschenkt hat und meine Liebe zu ihr, haben mich das alles durchstehen lassen. Mit diesen Gefühlen ist eine wahnsinnige Kraft und Energie mitgekommen.
Durch meine Lebenssituation war unsere Beziehung jedoch von Anfang an auch belastet, nicht unbeschwert, wie es bei einer jungen Liebe eigentlich sein sollte. Wir sind zusammengeblieben. Unsere Liebe haben wir offen gezeigt und uns nicht versteckt. Die Erfahrung war, wenn man den Menschen sagt, was Sache ist, kommen Gerüchte gar nicht erst auf.
In unserer Umwelt haben wir eigentlich nie echte Diskriminierung erlebt. In all den Jahren vielleicht zwei, drei blöde Bemerkungen von Fremden. Jedoch…
Bei einem offiziellen Termin wurden die Herren „Sowieso“ mit Gattin (namentlich erwähnt) begrüßt. Frau „Kunterbunt“ wurde auch begrüßt. Bei der gleichen Veranstaltung im Folgejahr wurde Frau „Kunterbunt“ mit Begleitung begrüßt. Und vielleicht im 3. oder 4. Jahr schaffte es die Moderatorin dann auch meinen Namen zu nennen. In die Verlegenheit wird sie nun nicht mehr kommen.
In italienischen Kleinstädten habe ich manchmal ihre Hand losgelassen, weil mir die „alten, italienischen Männer“, die in den Cafés saßen, nicht ganz geheuer waren. Vielleicht war das aber auch nur in meinem Kopf.
Positiv waren auch die Erfahrungen, die wir in einer Tanzschule machten. Frau „Kunterbunt“ rief dort an und fragte, ob es auch möglich sei, dass zwei Frauen zum Kurs kommen. „Kein Problem.“ Vielleicht haben einzelne mal kurz geschaut. Ehrlich gesagt, das hätte ich auch gemacht.
Später haben sie wahrscheinlich auf uns geblickt, weil Frau „Kunterbunt“ so gut tanzen kann. Also war Frau „Kunterbunt“ dort der „Mann“ und ich die „Frau“. Ich habe von lesbischen Frauen gehört, dass es sie stören würde zu hören: „Der Mann führt die Frau….“.
Für uns beide war das in Ordnung. Wir wollten tanzen lernen und das war der perfekte Ort.
Das mit dem Sichtbarsein nach außen war für uns ganz normal.
Nach vielen Jahren hat sie sich vor Kurzem von mir getrennt.
Viele Menschen in meinem nahen Umfeld wissen es noch gar nicht.
Nicht antworten wollen auf Fragen wie: Warum? – zu verletzend! Hat sie eine Neue? War es das alles wert? – und dann die Überraschungsfrage
“Wie ist das jetzt für dich? Glaubst du, wirst du vielleicht wieder eine Beziehung zu einem Mann haben? Oder ist das mit den Frauen fix für dich?“
Phew, da war ich wirklich erstmal überfordert. Also an eventuelle zukünftige Beziehungen hatte ich echt noch keine Sekunde gedacht. In meinem Kopf und meinem Herzen spielen sich zurzeit ganz andere Sachen ab.
Bei Zigaretten, Cognac und Gin Tonic habe ich mir eine Antwort überlegt.
„Ich glaube, ich verliebe mich in Menschen.“
Einen Menschen lieben.
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