Gay-Community: Hot or not?
Manuel und Rodrigo aus Dalaas
Manuel und Rodrigo sind seit 13 Jahren ein Paar und seit kurzem stolze Hauseigentümer in Dalaas. Bei großen Entscheidungen sind sich die beiden meistens einig. Nur wenn es um die Gay-Community geht, scheiden sich die Geister. Ein Paargespräch über die Sehnsucht nach und Abneigung gegenüber der schwulen Szene.
Eigentlich hätte es für Rodrigo nur ein Jahr als Au-Pair in Vorarlberg sein sollen. Dass er dabei auch seine große Liebe findet, hätte er sich nicht erträumen lassen. Kennengelernt hat er seinen Mann – ganz klassisch zu dieser Zeit – bei gayromeo.com, einer Datingplattform für schwule Männer. Auf den blauen Seiten also, wie man gayromeo in der Szene nennt, traf er 2008 auf Manuel, den Feldkircher Friseur, dessen Salon „Freaks“ in Feldkirch mittlerweile schon Kult ist.
Sie schrieben täglich. Wochenlang. Und beim ersten Treffen in Österreich verliebten sich beide Hals über Kopf ineinander. Manuel stellte Rodrigo zuhause vor, seine Familie freute sich über die junge Liebe. Voller Zuversicht wollten die beiden bald Nägel mit Köpfen machen, und machten etwas, was eigentlich noch gar nicht legal war in Österreich: Nämlich heiraten. Zum Glück war die Grenze nicht weit.
Manuel und Rodrigo zogen also in einen kleinen Ort im Allgäu, den sie beide heute als „Arsch der Welt“ bezeichnen. In Deutschland, wo das schon möglich war, ließen sich die beiden verpartnern. Heute, zehn Jahre nach Einführung der Eingetragenen Partnerschaft und drei Jahre nach Einführung der Ehe für alle in Österreich, leben die beiden schon längst wieder im Ländle und mittlerweile sogar in Dalaas, das sie als stolze Hauseigentümer niemals als „Arsch der Welt“ bezeichnen würden.

Manuel und Rodrigo bei ihrem ersten Date in 2008.
Zwei Communities, zwei Haltungen
Eine Sache vermisst Rodrigo aber sehr in Vorarlberg: Und zwar eine Gay-Community. „In Brasilien haben wir uns jeden Tag getroffen, wir waren wie eine Familie. Ich glaube, weil wir uns wegen der gesellschaftlichen Diskriminierung so sehr verstecken mussten, haben wir mehr zusammengehalten.“ Rodrigo erzählt von ausgelassenen Partys, fabulösen Drag Queens und dem Gefühl von Freiheit in diesen safe spaces seiner Heimatstadt Vitoria.
Manuel hingegen hat die Gay-Community ganz anders wahrgenommen: „Im Ländle gibt es keinen Zusammenhalt, sondern nur Neid und Missgunst. Auf den wenigen Parties auf denen ich war, ging es nur um das Eine – und wenn es dir nicht darum ging, dann gab es immer ganz viel Drama.“ Kennengelernt hat Manuel seine Partner meist über Zufälle, oder im Fall von Rodrigo über das Internet. Freundschaften innerhalb der schwulen Community pflegt Manuel kaum.
Man könnte nun behaupten, dass Österreich politisch und gesellschaftlich schon so weit fortgeschritten ist, dass Freiräume für schwule Männer obsolet werden. Ohne geteilte Diskriminierungserfahrungen gibt es möglicherweise auch keine Notwendigkeit, zusammen zu stehen. Rodrigo sieht das aber nicht so: „In Wahrheit ist es in Vorarlberg ein ganzes Stück konservativer als in Brasilien. Die Menschen leben hier zwar, aber sind oft nicht geoutet. Für Spaß und Freiheit braucht man aber Menschen, die auch zu sich stehen.“
Ein Problem, warum das in Vorarlberg nicht klappt, identifiziert Manuel: „Mir kommt vor, dass bei allen bisherigen Veranstaltungen das Dating so stark im Vordergrund stand, dass man eben nicht ungezwungen feiern konnte. Und dann kennt noch jeder jeden…“ Manuel gibt aber auch zu, dass er selbst eher der Beziehungstyp sei, und seit seiner Beziehung mit Rodrigo schlicht und einfach nicht das Verlangen hatte, andere Schwule kennen zu lernen.
Worum geht es?
Für Rodrigo geht es in der Gay-Community nicht nur um Dating: „Es geht um das Gefühl, zusammen zu gehören, Spaß zu haben und eine gemeinsame Kultur des Feierns“, ist Rodrigo überzeugt. „Dafür brauche ich aber keine Schwulen, dafür habe ich doch meinen Freundeskreis.“, meint Manuel und kurz bevor es noch hitziger zwischen den beiden wird, beschwichtigt Rodrigo: „Da kommen wir wohl einfach nicht zusammen…“
Der erste Paarstreit entbrannte tatsächlich bei ihrem ersten Urlaub in Rodrigos Heimatstadt. Plötzlich war Manuel umgeben von einer Horde anderer feierlustiger Schwuler. Jeden Abend eine andere Party, viele Bussis und ganz viel Körperkontakt. „Da bin ich dann doch ganz Vorarlbergerisch: Kenn i net, mag i net! Und im Urlaub mag i a Ruah…“, erinnert sich Manuel. Im Rückblick ist die Ursache des Streits aber klar: Was für Rodrigo eine Community unter Freunden war, wurde von Manuel mit seinen Vorarlberger Erfahrungen anders besetzt, nämlich als ein Kennenlernen mit Absichten. Eifersucht inklusive.
Auf die Frage, wie eine positiv besetzte Gay-Szene im Ländle überhaupt entstehen könnte, ist Rodrigo ganz klar: „Eine Gay-Szene muss sich von selbst ergeben. Je angestrengter man versucht eine herzustellen, desto eher ist sie zum Scheitern verurteilt.“ Trotz der Sehnsucht hat sich Rodrigo mittlerweile mit der fehlenden Szene in Vorarlberg abgefunden: „Nach diesen Jahren bin auch ich ruhiger geworden, und ich schätze, was Manuel und ich uns gemeinsam aufgebaut haben. Wir sind stolze Väter eines Sohnes, ich habe eine Arbeit, wir haben Hunde, ich spiele im Volleyballverein, wir reisen viel. Was will man noch mehr?“