Vom Privatleben in der Schule
Ronald aus Hohenems
Wenn man offen im Klassenzimmer von sich erzählt, öffnen sich Schüler*innen. Davon ist der Mathematik-Lehrer Ronald überzeugt. Noch immer meinen viele Menschen, dass die eigene Sexualität nichts in der Schule verloren hat. Aber, ist ein Outing überhaupt etwas Sexuelles?
Wenn man von Outing spricht, dann ist meist jenes mit den eigenen Eltern das Schwierigste. Ronalds Eltern nahmen es zum Glück gefasst, als der Sohn ihnen erklärte, was nun Sache ist. Aber dennoch: Nach dem Outing haben sich die beiden Sorgen um Ronald gemacht, weil er ausgegrenzt werden könnte von der homophoben Mehrheitsgesellschaft. Sie haben ihm geraten, gerade als angehender Lehrer diesen Teil seines Lebens nicht preis zu geben. Als fröhlicher und offener Mensch hat er seine Eltern immer beschwichtigt; er war sich sicher, dass ihm nichts zustoßen könnte. Auf einer Pink-Party in Lochau allerdings wurde er tätlich aufgrund seiner Homosexualität angegriffen. „Zwei Männer kamen auf die Party und wussten nicht, dass es sich um eine Gay-Party handelte und waren sichtlich angeekelt. Als wir ihnen die Situation erklärten, hatte ich die Faust schon im Gesicht.“ Glücklicherweise hatte Ronald auch Freunde dabei, die die Täter gleich überrumpelten. Ob Ronald diese Erfahrung geprägt hat? „Ich glaube, es gibt immer solche Menschen, ich nehme das nicht persönlich.“ Geblieben ist die Erfahrung, sehr wohl diskriminiert werden zu können – selbst an Orten, an denen man sich sicher fühlen sollte. Trotz all dem ist Ronald heute geoutet in der Schule, an der er unterrichtet.
Den Fragen einfach ausweichen?
Was aber hat das Privatleben von Lehrpersonen eigentlich in der Schule verloren? „Gerade in den Mittelschulen für die 10 bis 14-Jährigen beginnen Schüler*innen sich für das Privatleben ihrer Lehrpersonen zu interessieren. Sie recherchieren im Internet, in sozialen Medien und fragen ganz offen im Klassenzimmer nach.“, erklärt Ronald und gibt zu, genau darauf zu achten, was er in sozialen Medien teilt. Die Schüler*innen stellen meist alltägliche Fragen, über die sich heterosexuelle Lehrpersonen kaum Gedanken machen müssen: Hat der Englischlehrer auch Kinder? Ist die Geographielehrerin auch Fußballbegeistert? Wer hat letztens den Mathelehrer von der Schule abgeholt? Und selbstverständlich erzählen Lehrer*innen auch beiläufig im Klassenzimmer von der eigenen Familie, von der Freizeit am Wochenende, und von eigenen Erfahrungen bei den Themen, die gerade im Klassenzimmer aufkommen.
Vorsicht ist allerdings geboten, wer den Fragen der Schüler*innen ausweicht: Denn damit macht man sich in der Regel nur noch interessanter. So ging es auch Ronald. Seine Schüler*innen wollten es umso genauer wissen, je öfter er diplomatisch nichts von seinem Privatleben preisgab. Wer ist denn die Frau von Herrn Mündle? Oder könnte Herr Mündle sogar einen Mann haben? Die Schüler*innen fragen Letzteres besonders andere Lehrpersonen, die ebenso diplomatisch der Frage ausweichen und wieder an Ronald verweisen. „Obwohl ich schon seit ich 19 bin in den meisten Kontexten geoutet war, habe ich es mich die ersten Jahre in der Schule nicht getraut. Erst nach drei Jahren, bei der Zeugnisvergabe meiner eigenen Klasse, habe ich auf die Fragen geantwortet und von meinem Partner erzählt.“ Die Schüler*innen haben es bis heute überwiegend gut aufgenommen.
Von falschen Assoziationen
Warum aber ist es besonders für Lehrpersonen schwierig, sich in der Schule zu outen? „Ich fürchte, dass Homosexualität immer noch fälschlicherweise mit Pädophilie oder ausschließlich mit Sexualität verbunden wird. Aus Angst, von Eltern, anderen Lehrpersonen oder Schüler*innen in dieses Eck gestellt zu werden, überlegt man es sich mit dem Outing womöglich öfter als in einem normalen Bürojob. Zumal wir ja auch in unserem Schulalltag immer wieder Körperkontakt haben, sei das im Sportunterricht, wenn man ein Kind tröstet oder wenn sich zehn Kinder in der Skiwoche an dich dran hängen.“ Das aktive Verheimlichen des Privatlebens ist auch Thema der aktuellsten Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte – an Schulen verstecken 60% der Schüler*innen, Lehrer*innen und Verwaltungsangestellte ihre Identität, 35% sind bei einzelnen Kolleg*innen geoutet und nur 5% gehen wirklich offen damit um. Ronald hat mit jenen Lehrpersonen Kontakt, die nicht geoutet sind und ihr Privatleben so gut es geht verheimlichen. Sie sagen, ganz normale Situationen im Schulalltag, wie beispielsweise das ermutigende Schulterklopfen, würde bei offen geouteten Lehrpersonen womöglich falsch, missgünstig und problematisch interpretiert werden – von Schüler*innen, anderen Lehrpersonen und von Eltern.
Aber: Ist dem so? „In meinem Fall gab es in dieser Hinsicht zwar keine Probleme, aber ich kann die Gedanken nachvollziehen, ich hatte dieselben“, meint Ronald und fügt hinzu: „Es gibt manchmal Schüler*innen, die ganz offen Probleme mit meiner Homosexualität haben, aber weil ich eben offen damit umgehe, fragen sie mich auch ganz ungeniert. Wir können meistens das Thema in einem Gespräch gemeinsam klären.“ Ganz generell begegnen Ronalds Schüler*innen dem Lehrer offener, seit er geoutet ist. „Erst wenn die Schüler*innen merken, dass du auch ein gewöhnlicher Mensch bist, sind sie bereit, auch mit dir zu teilen, was auf dem Herzen liegt.“, ist Ronald überzeugt. „Ich glaube, dass es eine verkürzte Sicht ist, dass Lehrende nur Stoff vermitteln. Wenn man gut ist, dann kümmert man sich nicht nur um den Stoff, sondern um die Kinder.“ Letztendlich sind Lehrpersonen auch Schlüsselfiguren, die, wenn sie rechtzeitig von den Problemen der Schüler*innen erfahren, gemeinsam mit Eltern und Beratungsstellen Lösungen entwickeln können. Dafür braucht es einen Draht zu den Schüler*innen.
Stunden opfern für mehr Aufklärung
Dankbar ist Ronald jedenfalls für das Engagement des Lehrerkollegiums, das sich gegen Diskriminierung stellt und Bildung als wesentlichen Teil dieser Haltung versteht. So gab es schon vor Ronalds Outing an der Schule zahlreiche Projekte, die sich mit LGBTIQ-Themen befassten, sei das im Deutsch oder Geschichteunterricht. Die Ergebnisse dieser Schulprojekte waren auf Plakaten in der Aula sichtbar. Dabei griffen die Lehrpersonen Fragen, Konflikte und Situationen aus dem Schulalltag auf – denn Homophobie und verzerrte Bilder von Schwulen, Lesben und Transpersonen seien Alltag an Vorarlberger Schulen. Bei der Frage, was es benötigt, damit man sich als Lehrperson oder als Schüler*in outen kann, meint Ronald: „Mehr Aufklärung. Eine Stunde wöchentlich für alle Fragen, die gerade brennen. Egal ob zu den Themen rund um Sexualität, Rassismus oder Politik. Denn meistens müssen wir als Lehrpersonen wichtige Diskussionen mit den Schüler*innen abbrechen um mit dem eigentlichen Lehrstoff weiter zu kommen. So bleiben viele Fragen der Schüler*innen offen – oder ich opfere eben meine Mathe-Stunde.“
Spezielle Workshops zu den Themen rund um LGBTIQ, wie sie der Verein GoWest mit „out@school“ anbietet, hält Ronald zwar für sinnvoll, aber für einen wirklichen Lerneffekt benötige es mehr Zeit in seinen Augen. Solche Themen müssen von allen Lehrpersonen kompetent verhandelt werden können, eben dann, wenn sie gerade im Schulalltag auftauchen. Und da kommt wohl wieder die Vorbildfunktion von Lehrpersonen ins Spiel: „Ich denke, wir haben eine Vorbildfunktion als Lehrpersonen. Und weil das so ist, will ich kein Vorbild sein, das vermittelt, dass man sich selbst, seinen Partner und sein Leben verstecken muss. Im Gegenteil: Ich möchte den Schüler*innen vermitteln, dass sie so sein können wie sie sind.“
Der Verein GoWest bietet seit 2010 Peer-to-Peer Schulworkshops an mittleren und höheren Schulen an und wurde dafür mit der sozialmarie, dem IBK-Publikumspreis sowie dem 2. Platz beim interregionalen Jugendprojektwettbewerb prämiert. Derzeit befindet sich der Workshop in einem vom Bundesministerium verordneten Akkreditierungsverfahren. Um dieses zu umzusetzen ist eine Finanzierung notwendig. Der Verein GoWest freut sich über Spenden und/oder Mitgliedsbeiträge. Mehr Infos zur Unterstützung dieses Projekts unter www.gowest.or.at/kontakt