„Selbstverständlichkeit ist eine Errungenschaft!“
Manfred aus Andelsbuch
Der Bregenzerwälder Manfred Stadelmann (72) gehört zur ersten Generation der Vorarlberger LGBTIQ-Bewegung und gründete die HOSI Vorarlberg. Als schwuler Mann in den 80ern und 90ern mussten sich er und seine Mitstreiter:innen einiges von der Vorarlberger Gesellschaft gefallen lassen. Und obwohl er immer wieder über’s Wegziehen nachgedacht hat: Es hat ihn doch im Ländle gehalten.
In den 70ern musste Manfred Stadelmann raus aus dem Ländle. In Wien studierte er Architektur, wirklich ausleben konnte er sich trotzdem nicht, dafür war er nach eigenen Worten noch ein „zu verklemmter Burabuab“. Dabei wurde 1971 das Totalverbot von Homosexualität durch die Regierung Kreisky abgeschafft, in den Jahren danach eröffneten einige Lokale für Schwule in Wien. Manchmal ließ sich auch Manfred dort blicken, und einen Partner hatte er auch eine Zeit lang – allerdings heimlich. Dass die wenigen Besuche in den Schwulenlokalen ihm später zum Verhängnis werden könnten, daran hat Manfred Stadelmann zu keiner Sekunde gedacht.
Engagement trotz Drohungen
Als Manfred Anfang der 80er nach Vorarlberg zurückgezogen ist, arbeitete er an vorderster Front beim Aufbau der Vorarlberger Grünen-Bewegung mit. 1984 gelangte den Grünen der Einzug in den Landtag mit Kaspanaze Simma, jenem ikonischen Politiker, der zur Angelobung selbstgemachten Käse im Landtag verteilte. Die Stimmung damals beschreibt Manfred als „euphorisch“, und mit diesem neuen Selbstbewusstsein überlegt er sich sogar, sich um eine leitende Funktion im Parlamentsklub der Grünen zu bewerben. Ihm war aber auch klar: Er wollte das nur geoutet und mit Rückhalt seiner Partei machen, denn ungeoutet in einer öffentlichen Position zu arbeiten hieß immer auch erpressbar zu sein.
Den Rückhalt aus der Partei erhielt er quasi zur Hälfte: „Zwei der Abgeordneten hatten kein Problem damit, für zwei andere war es nahezu undenkbar, einen offen schwulen Mitstreiter anzustellen.“ Nicht beworben hat er sich letztendlich aber aus einem anderen Grund. In einem Gasthaus in Alberschwende kam ein Redakteur der Vorarlberger Nachrichten auf ihn zu und drohte Manfred mit angeblichen Bildern aus Wiener Schwulenlokalen, auf denen Manfred zu sehen sei. Manfred erinnert sich noch gut an einen Satz, des Redakteurs: „Deine politischen Ambitionen in Ehren, aber wenn ich will, kann ich dich jederzeit fertig machen.
Für Manfred hieß das erst einmal, dass er sich weiter verstecken würde. Dabei ging es ihm nicht immer um ihn selbst. Ein Outing konnte auch seine engsten Freund:innen, Familie und sogar seine Vermieterin, einer im Dorf bekannten Familie mit mehreren Kindern, in Bedrängnis bringen. Die Entscheidung zur Diskretion bedeutete aber nicht, dass Manfred nicht aktiv sein wollte. Kurz nach Gründung der AIDS-Hilfe 1985, gründete Manfred im Jahr 1987 auch die Homosexuellen Initiative Vorarlberg, kurz HOSI. Sie veranstalteten Treffen, führten das RosaTelefon, ein Beratungstelefon für schwule Männer, und vernetzten sich mit anderen Initiativen im In- und Ausland.
„Es darf gefummelt werden“
„Gerade in den 90ern gab es Zeiten, in denen wir monatlich über 60 Besucher:innen hatten. In Bregenz gab es vereinzelt auch einschlägige Lokale, natürlich nie ganz öffentlich, aber wer sich ein bisschen auskannte wusste genau, wo man hingehen konnte.“, erinnert sich Manfred. Er erzählt von einer Bar in der Bregenzer Kaspar-Hagen-Straße, wo heute ein Dönerlokal ist, vom Alten Löwen in Schwarzach und vom Vorarlberger Hof in Dornbirn, in denen es Abende für Schwule gab. Alle Lokale standen immer wieder auch unter Beschuss der Gemeindebehörden und hielten es unter anderem deswegen nicht lange durch.
Eines der prominentesten Beispiele für behördliche Homo- und Transphobie war der 1989 organisierte „Fummelball“ im Dornbirner Spielboden, den der damalige Bürgermeister Rudolf Sohm verbieten wollte. Die Zweideutigkeit des Wortes „Fummel“ war zu viel des Guten und würde das Ansehen der Stadt beschädigen. Der Spielboden Dornbirn mobilisierte daraufhin eine Gegendemonstration zum Verbot und solidarisierte sich mit der damaligen LGBTIQ-Community. Diese Demonstration war für Sohm genug um dem Spielboden mit einer Vertragskündigung zur Nutzung der Räumlichkeiten zu drohen – letztendlich hatte er damit zwar keinen Erfolg, aber eine wichtige Kulturinstitution des Landes musste monatelang um ihre Existenz bangen aufgrund einer LGBTIQ-Veranstaltung. Die Ereignisse hinterließen einen bitteren Nachgeschmack, denn sie war Spiegel einer negativen Grundstimmung in der Gesellschaft, besonders dann, wenn man es wagte, öffentlich und selbstbewusst aufzutreten.
Zwischen Unterstützung und Fremdouting
Die HOSI veranstaltete einen österreichweiten Kongress, suchte den Dialog zur katholischen Kirche, und nutzte Jahre später den Spielboden Dornbirn für eine queere Filmreihe – die heute noch dort stattfindet. Mit dem Engagement und den vielen Kontakten wuchs Manfreds Selbstbewusstsein. Für die Neue Tageszeitung gab Manfred Stadelmann auch ein Interview mit der Bitte, seinen Namen nicht zu erwähnen. Am nächsten Morgen lautete die Schlagzeile auf der Titelseite „Stadelmann ist ein Schwuler!“. Das unsensible Fremdouting war für Manfred belastend, aber hielt in trotzdem nicht von seinem Engagement mit seinen Mitstreitern ab. Nach 15 Jahren, mit der Jahrtausendwende war allerdings Schluss mit der Initiative. Der Aufschwung des Internets und neuer sozialer Medien für Homosexuelle, aber auch das Aufkommen von mehreren kleineren Initiativen führten letztendlich zu einer sinkenden Nachfrage am Angebot.
Einhundertprozentige Unterstützung hatte die HOSI Vorarlberg immer von der AIDS Hilfe, und ganz genau abgrenzen konnte man die beiden Initiativen – wie in vielen anderen Städten – ohnehin nicht. Das wurde irgendwann auch zum Problem für die AIDS-Hilfe, denn in der Außenwahrnehmung war sie auch nach dem Wegfall der HOSI Anlaufstelle für LGBTIQ-Menschen, obwohl ihr Auftrag und damit einhergehend ihre Förderstrukturen andere waren. Dieser Bedarf nach einer eigenen, fachlichen Beratungsstelle für LGBTIQ-Menschen wurde 2005 geäußert, und in der Arbeitsgruppe für diese Beratungsstelle war auch Manfred Stadelmann beteiligt. Das erarbeitete Konzept wurde allerdings nie umgesetzt, laut der damaligen Landesrätin Greti Schmid wäre es geradezu diskriminierend, eine eigene Beratungsstelle nur für homosexuelle Menschen anzubieten. Die Arbeitsgruppe hat sich davon aber nicht entmutigen lassen, und den Verein GoWest gegründet, der bis heute besteht. Wenige Jahre nach der Gründung des Vereins zog sich Manfred aus der Community-Arbeit zurück und blickt wertschätzend auf die aktuellen Entwicklungen: „Es ist wichtig, dass die jungen Menschen nachkommen. Und wenn ich mir die heutige Community anschaue, dann ist die Präsenz, zum Beispiel beim CSD, einfach nur wohltuend für mich. Nur wenn wir präsent sind, können wir erreichen, dass wir Teil der gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit sind. Und diese Selbstverständlichkeit ist eine Errungenschaft.“
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