Sich im eigenen Dorf verstecken kann sich Lukas nicht vorstellen. Dass ihm das gelang, hat mit einer Sache zu tun: Rückhalt.

Es ist kaum zu glauben, aber mein Outing liegt beinahe 15 Jahre in der Vergangenheit. Heute ist das Bekennen zu meinem „Anders als die Norm – Sein“ etwas ganz Natürliches, dass ich oft ohne groß darüber nachzudenken, jeden Tag ausdrücken kann. Doch 15 Jahre zurück, war es für mich schwer vorstellbar, dass mich die Gesellschaft in der wir leben, einmal so akzeptieren wird, wie ich eben bin. Was nicht bedeutet, dass sie das zum Vollsten tut, unsere Gesellschaft. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es wesentlich einfacher geworden ist, offen und frei zu leben, als das vor Jahrzehnten noch der Fall war.

Ich bin in einem kleinen Dorf groß geworden, in Fontanella im Großen Walsertal. Ich war umgeben von Traditionen, die einem vorzugeben scheinen, wie man sein Leben zu gestalten hat. Das ist nicht immer einfach, wenn man sich genau dieser Traditionen und Weltbildern so fern fühlt. Meine Familie hingegen ist sehr offen und liberal, das war und ist mein Glück. Doch das bedeutet nicht, dass die Blicke nicht zu spüren waren und das Geflüster nicht laut in den Ohren klang.

Oft hatte ich das Gefühl, man trägt den Ballast mehrerer Generationen auf seinen Schultern, wenn man sich dafür entscheidet, sich zu bekennen – und zwar zu sich selbst. Genau zu dem was sich richtig anfühlt und dem was das Herz höherschlagen lässt. Dieses „Dem“ mag für jeden etwas Anderes sein, aber für mich war es schlicht und einfach die Freiheit, mich nicht verstecken zu müssen und zu meinem Schwul sein zu stehen.

Zwischen Anderssein, Zugehörigkeit und Obergrechtern

Wie oft wurde mir geraten, es doch nicht herum zu posaunen, was so anders war mit mir und dass es doch einfacher wäre, nach der Matura in eine Großstadt zu ziehen, alles hinter sich zu lassen und sich dort zu bekennen. Doch das war für mich nie denkbar. Denn ein wichtiger Bestandteil meines Lebens – meine Familie – war und ist verankert in diesem kleinen Dorf im Walsertal. Und auch wenn es so sehr an seinen Traditionen festzuhalten schien, fühlte ich mich immer zugehörig. Inmitten der traditionell lebenden Menschen und ihren Vorstellungen, wie ein echter Obergrechter (so nennen sich die Fontaneller selbst) sein Leben zu leben hat, war und ist auch Platz für mich. Ich fühlte immer eine tiefe Verbindung zum Dorf und seinen Bewohnern – und diese besteht bis heute. Ich wusste schon damals, dass ein großer Teil meines Lebens immer einen Schwerpunkt in Fontanella haben wird und deshalb war es für mich so wichtig, nicht wegzurennen, sondern allen zu zeigen, dass das Anderssein nicht falsch ist.

Es gab viel Gerede im Vorfeld. Und trotzdem wurde mein Coming Out erstaunlich gut aufgefasst und mir wurde viel Verständnis entgegengebracht. Als ich mit 18 zuerst nach Feldkirch und dann mit 21 ins Ausland zog, war für mich klar, dass ich auch weiterhin oft in Fontanella sein werde. Was noch vielen schöner zu erleben war, waren die Begegnungen mit Obergrechtern, die Jahre später auf mich zukamen – mit den Worten: „Vielen Dank Lukas! Du hast uns gezeigt wie normal schwul sein ist. Dafür sind wir dir sehr dankbar.“

Was mir geholfen hat, war der Rückhalt aus meinem engen Kreis, auf den ich mich immer stützen konnte. Auch wenn ich mit Beleidigungen oder harschen Kommentaren konfrontiert wurde, wusste ich immer, dass es genug Menschen in meinem näheren Umfeld gibt, auf die ich mich jederzeit verlassen kann. Was für mich bedeutete, vielen Situationen ohne Angst und mit Leichtigkeit und Mut entgegen zu treten.

 

Mut, Stolz – PRIDE.

Für mich persönlich war und ist es oft ein Leichtes Mut zu zeigen und zu der Person zu stehen, die ich bin. Eine sehr schöne Erinnerung, die diesen Mut gestärkt hat, ist das Weihnachtsfest im Jahr 2013. Ich habe meinen Eltern den Film „Prayers for Bobby“ geschenkt. Im Film (der in den 1980-er Jahren spielt) wird der Protagonist ständig mit der Situation konfrontiert, sich bekennen zu müssen. Vor allem vor seiner eigenen Mutter. Für meine Mutter war es unverständlich, dass auch ihr Sohn sich tagtäglich in ähnlichen Situationen wiederfindet. Für sie war es nie greifbar, warum Menschen das Gefühl verspüren, in das Leben eines Anderen eingreifen zu müssen und diesen belehren zu wollen, genauso zu leben wie sie es tun, oder für richtig erachten. Ich war und bin überglücklich zu sehen, dass meine Mutter nach wie vor mit so viel Verständnis und Emotion hinter mir steht. Meiner Meinung nach, sind es genau die tagtäglichen Begegnungen und Konfrontationen, in denen man sich bekennen muss, die die mich zu der Person gemacht haben, die ich heute bin. Durch den Rückhalt, auf den ich mich immer stützen konnte, habe ich mein tägliches Bekennen in Stärke umgewandelt.

Genau aus diesem Grund ist es auch im Jahr 2020 nach wie vor bedeutend, dass wir weiterhin zusammenhalten, uns nicht einschüchtern lassen und gemeinsam unseren Stolz zeigen. Denn es gibt immer noch viele, die diesen (mehrfach genannten) Rückhalt nicht haben und denen wir mit unseren Geschichten vielleicht ein bisschen Stärke vermitteln können.

 

Keep the PRIDE FLAG flying and shine!