Pride bedeutet Veränderung
Mara und Sven aus Bregenz
Vor vier Jahren initiierte Mara mit nur 17 Jahren eine Demonstration anlässlich des Attentats auf den LGBTIQ*-Club „Pulse“ in Orlando – und mobilisierte in kürzester Zeit hunderte von Menschen. Daraus entstand die CSD Bregenz PRIDE, die Sven mit Herz und Engagement weiterführt. Mission Pride hat die beiden zum Gespräch geladen.
Hallo Mara, hallo Sven! Seit 4 Jahren organisiert ihr schon die CSD Bregenz PRIDE in Vorarlberg, jedes Jahr konntet ihr mehr Besucher*innen anlocken, seit letztem Jahr hängt die Stadt Bregenz sogar Regenbogenflaggen auf. Auch dieses Jahr wolltet ihr den CSD mit einem Programm ausweiten – dann kam Corona. Wie war es für euch, zu wissen, dass der CSD dieses Jahr nicht stattfinden kann?
Sven: Seit dem Jahr 2017 organisiere ich die CSD Bregenz PRIDE einmal jährlich. Seit der ersten Regenbogenparade, die im Jahr 2016 von Mara initiiert und von und gemeinsam organisiert wurde, haben wir große Fortschritte – sowohl politisch, wie gesellschaftlich gemacht, die sich im Umfang der CSD Bregenz PRIDE und in den stetig steigenden Teilnehmer*innen-Zahlen widerspiegeln. Dass ich die CSD Bregenz PRIDE heuer aufgrund der COVID-19 Pandemie absagen musste, war eine der schwersten Entscheidungen der letzten Jahre. Die Christopher Street Day Demonstrationen und Feste sind ja einerseits ein Andenken an den Stonewall-Aufstand Ende der 60er Jahre in New York, der als Startschuss für die weltweite LGBTIQ*-Bewegung gilt, andererseits aber auch eben eine Demonstration für unsere Rechte, für Gleichberechtigung, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Sichtbar zu sein als Teil der Gesellschaft ist besonders wichtig für eine Minderheitengruppe. Das alles ist aufgrund der Absage nun heuer in der gewohnten Form leider nicht möglich und macht mich sehr traurig.
Mara: Die CSD Bregenz Pride ist in den letzten vier Jahren so unermüdlich gewachsen, nicht nur an motivierten Helfenden und Aktivist*innen, sondern auch an ihren Forderungen für mehr Akzeptanz in Vorarlberg. Dass die Pride dieses Jahr aufgrund der COVID-19 Pandemie abgesagt werden muss, ist natürlich schade, vor allem weil es in Vorarlberg immer noch wenig Sichtbarkeit für LGBTIQ*-Personen gibt und die Pride eine stark öffentliche Präsenz hat. Gerade für eine recht junge Bewegung wie die Pride in Vorarlberg, ist die diesjährige Absage besonders bedauerlich. Nichtsdestotrotz, hat der CSD innerhalb von nur vier Jahren vielen Menschen einen neuen und sicheren Raum gegeben, um sichtbar zu sein. Genau aus diesem Grund ist es wichtig, dass alle Menschen in Vorarlberg wissen, dass die Absage der CSD Bregenz PRIDE 2020 nicht bedeutet, dass wir unseren Aktivismus pausieren. Ganz im Gegenteil! Der CSD Bregenz ist nicht nur ein Tag im Jahr. Die Pride steht für Veränderung, für lautstarke politische Forderungen und für Akzeptanz im täglichen Leben. Die Pride findet dieses Jahr vielleicht nicht statt, wir werden aber nicht aufhören lautstark für unsere Rechte zu kämpfen und Veränderung zu fordern.
Dass es den CSD überhaupt gibt, ist gar nicht so selbstverständlich. Wie ist der überhaupt entstanden?
Mara: Ich war 2016 im Vorsitzteam der Aktion kritischer Schüler*innen Vorarlberg aktiv und verantwortlich für den Aktionismus-Bereich. Aus diesem Grund habe ich mich im Juni, dem offiziellen Pride-Monat, sehr viel mit Queer-Politik auseinandergesetzt. Als am 12. Juni 2016 bei einem Attentat im Nachtklub „Pulse“ (Orlando/USA) dutzende Menschen ermordet wurden war für mich klar, dass auch wir in Vorarlberg nicht länger schweigen können. Durch die Aktion kritischer Schüler*innen hatte ich das erste Mal ein unterstützendes Netzwerk, das mir mit Ressourcen und Know-How zur Seite gestanden ist. Wir wussten, dass die Zeit knapp war, aber das wird und muss sich schon ausgehen. Nachdem die Demonstration angemeldet und die Route fixiert war, wurden Flyer gelayoutet und gedruckt. Wir sind im ganzen Raum Vorarlberg herumgefahren, haben Flyer verteilt und mit Menschen geredet. Natürlich haben wir auch über Soziale Medien versucht, so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Knapp zwei Wochen später, am Tag der ersten Pride in Vorarlberg hofften wir auf 100 Personen, die mit uns gemeinsam demonstrieren. Gekommen sind 250 Menschen, die lautstark durch die Bregenzer Innenstadt marschiert sind und ein Zeichen gesetzt haben. Das war das erste Mal, dass ein derart lautes Zeichen für Solidarität und Gleichberechtigung von LGBTIQ*-Personen in Vorarlberg gesetzt wurde, und dieses Zeichen wird jedes Jahr nur noch bunter und lauter.
Sven: Aus der von Mara initiierten Regenbogenparade 2016, zwei Wochen nach dem schrecklichen Attentat auf den LGBTIQ*-Club PULSE in Orlando, wurde 2017 die CSD Bregenz PRIDE. Als ich gesehen habe, wie sich die etwa 250 Menschen gefreut haben, die zur Regenbogenparade gekommen sind, wusste ich: Das muss weitergehen, das muss größer werden, lauter werden.
Größer und lauter sein ist das eine. Das Andere ist die Sichtbarkeit. Welche Rolle spielt hier die Demonstrationsroute, und wie hat sie sich die letzten Jahre verändert?
Sven: Ich habe viele Gespräche geführt mit Stadt und Exekutive, um eine Demonstrationsroute zu bekommen, bei der wir auch wirklich gesehen werden, denn die Regenbogenparade 2016 wurde noch überwiegend durch Seitenstraßen geführt. Das wollte ich keinesfalls so lassen. Es geht darum, dass wir sichtbar werden in der Gesellschaft. Wir gehören nicht ins „Abseits“, nein, wir gehören in die Mitte der Gesellschaft. Wir sind Teil davon! So entstand mit der CSD Bregenz PRIDE 2017 auch eine Route, bei der wir von der Gesellschaft wahrgenommen werden. Heuer, 2020, wäre diese Route nochmal ausgebaut und verbessert worden (Stichwort Barrierefreiheit), entlang der Bahnhofstrasse mit 3 Straßenquerungen und der Sperre der Mehrerauer-Brücke. Leider wird daraus heuer nun nichts, aber dafür 2021. Dafür werde ich mich – so wie jedes Jahr mit meinem ganzen Engagement – einsetzen. Seit 2019 hisst die Stadt Bregenz in der Rathausstraße und am Bregenzer Rathaus anlässlich der CSD Bregenz PRIDE die Regenbogenfahne – ich denke, das ist einer der größten Erfolge der CSD Bregenz PRIDE. Nun werden wir auch in der Bregenzer Politik, und hoffentlich bald auch auf Landesebene mehr als zuvor mit unseren Anliegen wahrgenommen. Andere Gemeinden und Städte werden dem Beispiel von Bregenz hoffentlich bald folgen. Jedoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass nicht Bregenz, sondern die Gemeinde Hörbranz die erste Vorarlberger Gemeinde war, die anlässlich der CSD Bregenz PRIDE (2018) die Regenbogenfahne sichtbar im Ortskern gehisst hat.
Am Format der CSD-Parade gibt es in größeren Städten auch Kritik: Zu kommerziell, zu klischeebehaftet, zu sehr Party. Was ist besonders am CSD in Bregenz und was ist euch wichtig in der Ausrichtung?
Sven: Das Besondere an der CSD Bregenz PRIDE ist aus meiner Sicht das familiäre Flair, das die PRIDE in Bregenz, trotz oder besser gesagt mit den nunmehr schon fast 800 Teilnehmer*innen, hat. Da die gesamte Organisation ausschließlich über Ehrenämter erfolgt und es mir bisher jedes Jahr gelungen ist, private Unterstützer und einige Gastrobetriebe als Sponsoren zu gewinnen. Durch diese guten Kooperationen sind wir bis heute nicht angewiesen auf Großsponsoren, die die CSD Bregenz PRIDE für ihre eigenen, kommerziellen Zwecke nutzen wollen. Darüber hinaus finanziert sich die CSD Bregenz PRIDE auch über unverzichtbare Beiträge vieler einzelner LGBTIQ* Organisationen, die im PRIDE Village ihre Stände aufstellen. Solange dies alles so funktioniert, wird die CSD Bregenz PRIDE das bleiben, was sie heute ist: Eine Demonstration für unsere Rechte und ein Gedenktag für den Stonewall-Aufstand – ein Tag des Feierns und sichtbar-seins der LGBTIQ* Community und eine Bühne für so manche*n Künstler*in, alles großartige Menschen mit wunderbaren Talenten. Gerade hier geben wir vor allem Newcomern eine Chance, sich einem größeren Publikum zu präsentieren. Auf diese Weise kann die CSD Bregenz PRIDE, auch wenn es vielleicht etwas länger dauern mag, gesund und nachhaltig wachsen und größer werden, ohne dabei zu einer Kommerz-Veranstaltung zu verkommen.
Mara: Diese Kritik ist sehr ernst zu nehmen, weil die Pride oft mehr als Parade denn als politischen Protest verstanden wird, besonders weil sich auch viele große Konzerne mit der Pride schmücken. Wichtig zu verstehen ist, dass der Christopher Street Day mit den Stonewall Riots 1969 in New York begonnen hat und Aktivist_innen unter extrem gewaltvollen Umständen für die Rechte von Queer-Personen gekämpft haben. Ich glaube, dass sich die CSD Bregenz PRIDE in Vorarlberg besonders durch ihre Vielfalt, die man im Ländle nicht so kennt, auszeichnet. Genau diese Diversität, sticht vielen Menschen ins Auge und lädt auch ein bei der Parade mitzumachen. Gerade in Vorarlberg ist dieses „Auffallen“ nicht immer gern gesehen, aber an diesem Tag sollen sich Menschen, die sonst nicht auffallen dürfen, in ihrer Vielfalt und geschützt durch eine Community zeigen können. Die CSD Bregenz PRIDE ist ein Safe Space für viele Menschen, und möchte das auch für Personen sein, die aus diversen Gründen nicht öffentlich an der Parade teilnehmen können. Wir stellen politische Forderungen und wollen eine reale Veränderung bewirken, um auch Vorarlberg zu einem offenen Land zu machen, in der sich keine LGBTIQ* Person verstecken muss.

Mara und Sven sind die Menschen hinter der CSD Bregenz PRIDE
In der ganzen Diskussion um das Thema Pride scheint es zwei Argumente zu geben. Die einen plädieren für eine möglichst normale Darstellung von LGBTIQ-Menschen, da man nur so Akzeptanz gewinnen kann. Die anderen möchten hervorheben, wie anders und divers LGBTIQ-Menschen sein können, und fordern genau darum Akzeptanz. Wie steht ihr zu diesem Diskurs?
Mara: Ich bin der Meinung, dass die Pride genau diese Argumentation überwindet. Es geht nicht darum über normale oder andersartige Vorstellungen nachzudenken oder diese wieder und wieder zu betonen. Pride soll dafür da sein, diese Vorstellungen systematisch zu kritisieren, Menschen zum Nachdenken zu bewegen und vor allem für eine gesellschaftliche Veränderung zu kämpfen. Die Darstellung von LGBTQIA+ Personen wird seit Jahrzehnten neu definiert und dennoch liegt der Tenor immer auf der Andersartigkeit von queeren Menschen. Die Pride Parade verwendet diese sozial zugeordneten Stereotype und nutzt diese Zuschreibungen als Instrument um soziale Veränderung zu schaffen und die Community in ihrer Vielfalt zu stärken. Ich finde es besonders wichtig zu erkennen, dass es nicht darum geht ob Stereotype oder Vorstellungen nun zutreffen oder nicht, sondern zu verstehen, dass jede Art von sozialer Zuschreibung eine Form von Unterdrückung ist. Deshalb soll die Pride sich mit einer Vielfalt präsentieren, die kreierte Rollenbilder und Darstellungen hinter sich lässt.
Sven: Ich sehe beides. Die Andersartigkeit und die Normalität. Doch was ist „Normal“ und was dann eben „Anders“? Ich glaube, und vielleicht zeichnet uns LGBTIQ*s das ja sogar ein Stück weit aus, wir können beides. Wir sind beides. Das wird, gerade bei der CSD Bregenz PRIDE, jedes Jahr deutlich sichtbar. Da gibt es viele Menschen, die mitgehen, von denen man im Alltag niemals denken würde, dass sie der LGBTIQ* Community angehören und es gibt Menschen, die mehr auffallen, bunt, schrill und laut sind. Was ist falsch an dem einen oder an dem anderen? Nichts. Es geht darum, so zu sein wie man ist und genauso sollte jeder in der Gesellschaft akzeptiert werden. Das gilt nicht nur für uns LGBTIQ*s! Und genau das will die CSD Bregenz PRIDE zeigen.
Der CSD ist wohl das Sinnbild für Pride. Was bedeutet Pride für euch, und wo findet Pride statt, wenn nicht auf dem CSD?
Sven: PRIDE bedeutet für mich, dass ich auf das was ich bin, was mich ausmacht, stolz sein kann und darf. Das betrifft nicht nur die sexuelle Orientierung oder Identität. Das betrifft mich als Mensch. Jeder, egal welcher Hautfarbe, welcher Religion, welcher sexuellen Orientierung oder Identität, sollte stolz auf sich selbst sein, auf das wer er ist. Diese Botschaft möchte ich allen bei der CSD Bregenz PRIDE mitgeben: Seid stolz auf das wer ihr seid! Versteckt euch nicht, geht erhobenen Hauptes hinaus in die Welt und zeigt euch! Jeden Tag, nicht nur am letzten Samstag im Juni bei der CSD Bregenz PRIDE. Seid jeden Tag stolz auf euch selbst! Und übrigens: Darum heißt sie auch „CSD Bregenz PRIDE“ – der Christopher Street Day Bregenz hat das Wort „Stolz“ in seinem Titel!
Mara: Pride bedeutet für mich die Forderung nach mehr Solidarität in unserer Gesellschaft. Pride bedeutet Systemkritik. Kritisch gegenüber Normen, Geschlechterrollen, Familiendarstellungen und anderen Vorstellungen, die Menschen ausschließen, weil sie ganz einfach nicht ins Bild passen. Pride soll Sichtbarkeit bedeuten, solidarisch für alle Menschen, die Diskriminierung erfahren und auch für alle, die nicht sichtbar sind bzw. es nicht sein können. Pride bedeutet für mich Veränderung. Pride bedeutet für mich, dass wir weiterhin lautstark Forderungen stellen müssen. Pride bedeutet für mich, dass noch lange nicht alles in Ordnung ist. Pride bedeutet für mich, dass wir nicht aufhören werden für unsere Rechte zu kämpfen.
Zu guter Letzt: Was sind eure Wünsche für Vorarlberg in diesem Jahrzehnt?
Mara: Ich wünsche mir vor allem ein angstfreies Leben für Menschen, die sich aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung unsicher fühlen müssen. Ich möchte, dass sich alle LGBTQIA+ Personen in Vorarlberg nicht länger unsichtbar fühlen. Ich möchte, dass offen über Diskriminierung gesprochen wird und ich möchte, dass sich auch die Politik in Vorarlberg mehr mit dieser Thematik befasst, um für eine Veränderung von gesellschaftlichen Vorstellungen zu kämpfen.
Sven: Ich wünsche mir noch mehr Sichtbarkeit der LGBTIQ* Community in Vorarlberg und ich wünsche dieser Community eben diesen Stolz, gepaart mit ein bisschen mehr Mut, sich mit erhobenem Haupt hinaus zu trauen. Da draußen wartet das Leben – auf jede*n Einzelne*n! Euer Leben. Und es wartet darauf, von euch gelebt zu werden.
Mehr Infos zur CSD Bregenz PRIDE findet ihr hier.
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