Warum ich das Ländle verlassen musste
Tess aus Lochau
Im Winter hat es verschneite Berge, im Sommer kann man im Bodensee schwimmen, das ganze Jahr über gibt es ein bemerkenswert breites Kulturprogramm und dann ist da natürlich noch Vorarlberger Bergkäse – wenn wir uns den Rest der Welt mal so anschauen, ist das Ländle eigentlich ein verdammt gemütlicher Ort um dort aufzuwachsen. Vorarlberg hat so viel zu bieten und scheint – vor allem im Vergleich zu Restösterreich – eine recht tolerante Gegend zu sein. Und trotzdem musste ich weggehen, um selbst zu akzeptieren wie ich lebe und liebe.
Mit 13 habe ich mich geoutet, das ging alles relativ einfach; Familie, Freunde, sogar Lehrpersonen und Internatsbetreuerinnen haben größtenteils gut reagiert, ein paar Leute haben ein bisschen komisch geschaut aber was solls, man kann nicht von allen geliebt werden. Ich weiß dass viele da ganz andere Erfahrungen machen, aber für mich war es ehrlich gesagt einfach keine große Sache. Drei Jahre später hab ich mich dann auch noch im bundesweiten Fernsehen geoutet, das hätte vielleicht nicht unbedingt sein müssen aber wir lernen alle aus den Fehlern die wir mit 16 machen. Wirklich schlimm wars auch nicht, nur ein bisschen peinlich vielleicht. Was ich sagen möchte ist, dass ich mich insgesamt in dieser Zeit ziemlich selten wegen meiner Homo-/Bisexualität direkt benachteiligt gefühlt habe. Also warum hatte ich meine erste Beziehung erst Jahre nachdem ich weggezogen war?
Ich bin polyamourös, bin also mit mehr als einer Person gleichzeitig zusammen, mit manchen in einer mehr oder weniger festen Beziehung, mit anderen ist es weniger definiert. Manche kennen sich untereinander, andere haben nur voneinander gehört. Der Traum vom eigenen Haus mit Kleinfamilie und Hund ist mir sehr fern – was natürlich nicht bedeutet, dass ich mir nicht sofort einen Bullterrier anschaffen werde, sobald mein Leben weniger chaotisch ist, schon alleine der lesbischen Tradition wegen. Sollte ich irgendwann ein Kind bekommen, würde ich es gerne mit mehreren Menschen gemeinsam aufziehen, unabhängig davon, ob sie an dessen Zeugung beteiligt waren oder nicht. Und all das ist nicht erwünscht im heilen Vorarlberg. Ich fühle mich nicht erwünscht.
Versteht mich bitte nicht falsch, ich finde es nicht verkehrt, wenn queere Menschen sich genau diese heile Welt wünschen. Wenn Monogamie euer Ding ist, go for it. Tatsächlich fühlen sich die meisten Leute wohler in monogamen Beziehungen, ob das jetzt an Erziehung oder Vorlieben liegt, ist letztendlich egal.
Aber für mich ist es halt einfach nichts und mit 16, gerade frisch vom ORF geprüft und als ausreichend lesbisch befunden, hatte ich keine Ahnung, dass “Polyamorie” überhaupt eine Möglichkeit ist. Ich war eh schon so anders und anders sein ist mit 16 nicht so wirklich geil. Also hab ich angefangen mir Ausreden zu suchen. “Die Richtige kommt bestimmt noch”, “ich hab einfach zu hohe Anforderungen” (yikes!), “ich hab Bindungsängste, da kann ich bestimmt dran arbeiten” und so weiter, bis hin zu “kann ich halt keine Beziehungen haben, ich bin doch eh Feministin” (Doppel-yikes!).
Erst als ich nach Berlin gezogen bin, wo es eine größere, breitere, und offenere LGBT-Szene gibt, hab ich gemerkt dass poly für viele was ganz normales ist. Heute, 6 Jahre später, hatte ich immer noch keine monogame Beziehung aber mehrere nicht-monogame. Manche gut, manche weniger, so wie es eben allen geht. Im Großen und Ganzen geht es meinem Liebesleben ganz gut, seitdem ich akzeptiert habe, dass Menschen verschieden sind – und zwar nicht nur was die Geschlechter ihrer Partner_innen angeht – und das mit dem Hund krieg ich auch noch hin.
Es geht hier aber um viel mehr als nur um meine eigene Unfähigkeit als Teenager zu daten: In Vorarlberg ist eine ganz klare Art und Weise lesbisch, schwul oder bi zu sein, akzeptiert – nämlich die, die dem heterosexuellen Ideal am Ähnlichsten ist. Die amerikanische Soziologin Lisa Duggan nennt das Homonormativität, das Bedürfnis sich an das “Normale” anzugleichen, um akzeptiert zu werden. Der Begriff wurde dann für kurze Zeit das neue Trendwort der LGBT-Bewegung, alle Leute in der queeren Uni-Welt haben plötzlich dazu publiziert, und die, die sich nicht aktiv gegen jede Art von Normativität wehren, wurden als Verbündete der Heteroagenda gebrandmarkt (oder so). Das ist natürlich auch Schwachsinn. Ich will euch nicht mit akademischen Essays langweilen sondern lediglich aufzeigen, dass viele queere Menschen, die in Vorarlberg aufwachsen, nicht zurückkommen wollen, weil immer noch erwartet wird, dass wir uns anpassen. Und dieser Druck kommt oft von anderen Queers, die meinen, dass es ihren Status gefährdet, wenn wir zu laut und zu unangenehm sind. Wenn wir das Vorarlberger Kleinfamilien-Ideal nicht erfüllen. Wenn wir offen über Fetische und Sexualität reden. Wenn unsere Körper nicht so ausschauen wie die Gesellschaft sie gerne hätte. Wenn wir nicht entweder männlich oder weiblich sind. Wenn wir eben zu anders sind.
Natürlich ist es toll dass es heute weniger Gewalt gegen homo- und bisexuelle Leute im Ländle gibt als vor 20 Jahren. Aber Toleranz sollte nicht davon abhängig sein wie gut man sich anpassen kann. Ich bin es leid, die Homo-Ehe, Regenbogenflaggen und Pride-Paraden zu feiern während so viele von uns sich in Vorarlberg immer noch nicht wohl fühlen können. Die erste Pride war ein Protest, angeführt von zwei nicht-weißen, sexarbeitenden Transfrauen, die regelmäßig von der Polizei verprügelt wurden. Es ging nicht darum, bestehende Institutionen (wie zum Beispiel die Ehe) für homosexuelle Paare zu öffnen, sondern darum, anders zu sein und trotzdem zu überleben. Vergesst das bitte nicht.